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22. Türchen

by P-Seminar "Utopie und Dystopie"

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22
Psychische Erkrankung

Weiß verläuft sich in Schwarz. Ich laufe einen leeren, leicht verkommenen Gang entlang und schenke den kahlen Stellen, im sonst vollständig ausgekleideten Gang, keine Beachtung. Nicht mein Auftrag. Von den Hausbenutzern war ich im Sinne der allgemeinen Gemeinschaftsparole geschickt worden, um mit dem Problemfall des Wohngebäudes zu sprechen. Ich schwenke um eine Ecke und läute an der zweiten Tür, gegenüber eines defekten Aufzugs.
Es dauert einen Moment, bis mein Reiz eine Reaktion provoziert. Doch einige Sekunden später zischt und klappert es. Mit einigem Stocken gleitet die einstmals saubere Tür auf und gibt mir den Blick auf eine Frau frei. In ihren späten Fünfzigern, die eine Hand gewichtig in die Seite gestemmt und mit saurem Gesichtsausdruck blickt sie mich an. Der Geruch nach Kohl sticht mir entgegen.
„Ah, schön‘ Nachmittag, Frau Passezky. Was kan‘ma‘ für Sie tun?“
„Schönen guten Tag“, beginne ich mit fester Stimme, „Frau Kommel, es gab mal wieder einen Vorfall mit ihrem Sohn. Die Wohngemeinschaft will das so schnell wie möglich klären.“
„Oh, verstehe. Kann also länger dauern? Wollen Sie vielleicht reinkomm`n?“, seufzt Frau Kommel.
Sie gab den Weg ins Innere frei und gestikulierte in Richtung Aufenthaltszimmer. Erleichtert schlüpfe ich durch die kreisrunde Eingangstür, streife meine Überschuhe ab und folge der Dame ins Wohnzimmer. Die Zeit hat ihre Spuren an der Einrichtung hinterlassen. Als ich eintrete, erkenne ich überrascht ein Set alter und abgenutzter Einrichtungsmöbel. Ein defektes virtuelles Fenster hängt schlaff an der Wand. Meinem Instinkt folgend, nehme ich mit lautem Krachen auf dem morschen Korbsessel Platz.
„Klassische Einrichtung die Sie hier so haben“, rufe ich Frau Kommel zu, die gerade im Nebenzimmer Wasser aufsetzte, um ins Gespräch zu kommen. „Hamma alles von meiner Großmutter geerbt. Stand halt auf so ‘n Zeug“, kommt es aus der Küche zurück.
„Is‘ halt irgendwie hängen geblieb‘n“, fügt sie mit gedankenverlorener Stimme hinzu. Nach wenigen Minuten bringt sie zwei knallrote, wenn auch verschiedene Tassen auf einem Tablett herein und stellt sie auf den Tisch in der Ecke. Danach fegt sie Staub und Papierkram von einem der Hocker herunter und zieht ihn vor meinen Stuhl. Mit einem flüchtigen Lächeln stellt sie darauf die Tasse ab.
„‘tschuldigung, aber gerade hamma nur Tee-Tabs da“, fügt sie an und weißt auf einen durchsichtig-roten Würfel auf meiner Untertasse.
„Machen Sie sich keine Umstände“, füge ich, peinlich berührt, an, „benutze ich auch immer, wenn es schnell gehen muss.“
Nun nimmt auch Frau Kommel Platz und wirft den roten Würfel in die Tasse. Um nicht unhöflich zu sein, tue ich es ihr nach.
„Das ist wahrscheinlich unangenehm für Sie, doch ihr Sohn Rony Kommel ist wieder negativ aufgefallen und hat sich gegenüber den anderen Hausbewohnern respektlos verhalten.“, beginne ich zögerlich, „er wurde gestern Abend betrunken auf dem hauseigenen Parkplatz beobachtet, wie er im Rausch andere Fahrzeuge getreten, laut herumgebrüllt und zwei Passanten attackiert hat. Danach ist er verschwunden.“  
„Oh, Gott. Das is‘ ja furchtbar.“, zeigt sich Frau Kommel sichtlich erschüttert, „so schlimm ist es ja lang net gewesen.“
„Besonders vonseiten der Anwohner können Sie einige Anzeigen erwarten bezüglich Ruhestörung, Vandalismus und körperlicher Gewalt.“
„Oh, Gott. Oh, Gott“, wiederholt Frau Kommel besorgt.
„Um ehrlich zu sein, steht es sogar zur Debatte, ob ihr Sohn aus dem Gemeinschaftsgebäude verwiesen wird. Sie wissen ja, wie das ist. Bei dem ganzen Datenaustausch heutzutage, könnte sich das Verhalten Ihres Sohnes schnell verbreiten und den Ruf der Gemeinschaft schädigen. “
„Aber Moment mal, Sie vergessen doch da ‘was. Wo is‘n ‘etz der Rony?“, schießt Frau Kommel hervor, welche keinen Anstoß am geschädigten Ruf der Gemeinschaft genommen zu haben scheint, „haben Sie irgendeine Spur?“
„Ich weiß es nicht, ich bin nur der Repräsentant der Gemeinschaft in der Sache. Ihr Sohn kann sich glücklich schätzen, wenn er wieder aufgenommen -“, beginne ich, doch Frau Kommel schneidet mit das Wort ab.
„Jetzt mal langsam hier, Frau Passezky!“, faucht sie plötzlich, „Gemeinschaft hin oder her. Sie haben ja gar keine Ahnung. Sie baden ja nur das aus, was sich die da unten nicht trauen. Sind zu feige, um selbst mit mir zu sprechen.“
Obwohl leicht in meinem Stolz verletzt, kann ich nicht umhin, ihr in dieser Sache Recht zu geben. Um nicht auf ihre Provokation einzugehen, warte ich, bis sie wieder etwas ruhiger fortfährt.
„Nu‘ ja, alles was ich sagen kann is‘, dass der Rony schon ziemlich viel für die Gemeinschaft hier gemacht hat. Aber dat wissen Sie ja eh nich‘, nich‘ wahr Frau Passezky.“
Nach diesem Wutausbruch hat Frau Kommel bereits den Tee vergessen. Er steht kalt und einsam vor ihr. Ein kleiner Rest des Tee-Tabs treibt obenauf. Verwirrt und zugleich verärgert über Kommels Sturheit sowie die überhebliche Argumentation, beginne ich meine Gedanken zu ordnen, um einen fundierten Gegenschlag auszuführen. Doch Frau Kommel seufzt plötzlich und schüttelt niedergeschlagen den Kopf.
„‘Tschuldige, wenn ich hier e‘n bisschen laut geworden bin“, beginnt die gebrochene Frau, „Sie müssen wissen, dass uns die Sache mit Ronny und damals noch ziemlich mitnimmt.“
Wen sie mit „uns“ meint, weiß ich nicht. Seine Vorgeschichte kenne ich schon. Es ist schließlich immer die Selbe. Tatsache ist, dass unsere Gemeinschaft ein Auffangbecken für viele Ausgestoßene, Verwarnte und Aussteiger im Bezirk ist. In dieser Etage ist es besonders schlimm. Meistens sind es die gleichen Geschicke. Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, Störung der öffentlichen Ordnung oder Ablehnung gesellschaftlicher Prinzipien führen zum Abstieg in der Klassengesellschaft.
„Sie müssen wissen, mein Sohn war einmal der CEO vom großen KAPE-Konzern just den Block runter“, sagte sie mit ruhiger und fester Stimme. Bei diesen Worten beginne ich unweigerlich zu lächeln und blicke Frau Kommel mit einer Mischung aus Mitleid und Verständnis an. Menschen brauchen Notlügen, um sich aufrecht zu erhalten und weiterzuleben. Das macht sie stark.
„Oh, Gott. Das is‘ ja furchtbar.“, zeigt sich Frau Kommel sichtlich erschüttert, „so schlimm ist es ja lang net gewesen.“
„Besonders vonseiten der Anwohner können Sie einige Anzeigen erwarten bezüglich Ruhestörung, Vandalismus und körperlicher Gewalt.“
„Oh, Gott. Oh, Gott“, wiederholt Frau Kommel besorgt.
„Um ehrlich zu sein, steht es sogar zur Debatte, ob ihr Sohn aus dem Gemeinschaftsgebäude verwiesen wird. Sie wissen ja, wie das ist. Bei dem ganzen Datenaustausch heutzutage, könnte sich das Verhalten Ihres Sohnes schnell verbreiten und den Ruf der Gemeinschaft schädigen. “
„Aber Moment mal, Sie vergessen doch da ‘was. Wo is‘n ‘etz der Rony?“, schießt Frau Kommel hervor, welche keinen Anstoß am geschädigten Ruf der Gemeinschaft genommen zu haben scheint, „haben Sie irgendeine Spur?“
„Ich weiß es nicht, ich bin nur der Repräsentant der Gemeinschaft in der Sache. Ihr Sohn kann sich glücklich schätzen, wenn er wieder aufgenommen -“, beginne ich, doch Frau Kommel schneidet mit das Wort ab.
„Jetzt mal langsam hier, Frau Passezky!“, faucht sie plötzlich, „Gemeinschaft hin oder her. Sie haben ja gar keine Ahnung. Sie baden ja nur das aus, was sich die da unten nicht trauen. Sind zu feige, um selbst mit mir zu sprechen.“
Obwohl leicht in meinem Stolz verletzt, kann ich nicht umhin, ihr in dieser Sache Recht zu geben. Um nicht auf ihre Provokation einzugehen, warte ich, bis sie wieder etwas ruhiger fortfährt.
„Nu‘ ja, alles was ich sagen kann is‘, dass der Rony schon ziemlich viel für die Gemeinschaft hier gemacht hat. Aber dat wissen Sie ja eh nich‘, nich‘ wahr Frau Passezky.“
Nach diesem Wutausbruch hat Frau Kommel bereits den Tee vergessen. Er steht kalt und einsam vor ihr. Ein kleiner Rest des Tee-Tabs treibt obenauf. Verwirrt und zugleich verärgert über Kommels Sturheit sowie die überhebliche Argumentation, beginne ich meine Gedanken zu ordnen, um einen fundierten Gegenschlag auszuführen. Doch Frau Kommel seufzt plötzlich und schüttelt niedergeschlagen den Kopf.
„‘Tschuldige, wenn ich hier e‘n bisschen laut geworden bin“, beginnt die gebrochene Frau, „Sie müssen wissen, dass uns die Sache mit Ronny und damals noch ziemlich mitnimmt.“
Wen sie mit „uns“ meint, weiß ich nicht. Seine Vorgeschichte kenne ich schon. Es ist schließlich immer die Selbe. Tatsache ist, dass unsere Gemeinschaft ein Auffangbecken für viele Ausgestoßene, Verwarnte und Aussteiger im Bezirk ist. In dieser Etage ist es besonders schlimm. Meistens sind es die gleichen Geschicke. Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, Störung der öffentlichen Ordnung oder Ablehnung gesellschaftlicher Prinzipien führen zum Abstieg in der Klassengesellschaft.
„Sie müssen wissen, mein Sohn war einmal der CEO vom großen KAPE-Konzern just den Block runter“, sagte sie mit ruhiger und fester Stimme. Bei diesen Worten beginne ich unweigerlich zu lächeln und blicke Frau Kommel mit einer Mischung aus Mitleid und Verständnis an. Menschen brauchen Notlügen, um sich aufrecht zu erhalten und weiterzuleben. Das macht sie stark.
Doch Frau Kommel fährt fort: „Genauso haben auch alle anderen reagiert, als ich ihnen die Geschichte erzählt hab‘. So ‘ne Mischung aus Mitgefühl und Fremdscham. Hm. Aber was soll`s!“
„Nein, nein. So war das nicht gemeint“, versuche ich mich schnell zu entschuldigen, doch Frau Kommel ist im schon im Begriff sich zu erheben, „Bitte. Bitte erzählen sie mir doch davon.“
Die Alte zieht die Brauen hoch und mustert mich abschätzend. Mit skeptischem Blick versucht sie mir jegliche böse Absicht zu entlocken.
„Gut.“
Sie setzt sich wieder hin und richtet ihren Blick zunächst in Richtung Boden, als ob sie ihre Gedanken ordnen müsste. Dann beginnt sie zu sprechen.
„Also das is‘ jetzt schon einige Jahre her. Alles begann so, als wir noch in New York gelebt haben, oder zumindest was davon übrig war. Nicht, dass wir damals irgendwie wohlhabender gewesen waren, nein, wir lebten ebenfalls in ‘ner kleineren Wohnung am Stadtrand. Mein Mann, der kleine Rony und ich. Hm. Und als der Kleine dann so 13 Jahre alt wurde, nahm er an einem Förderprogramm für technikbegeisterte Schüler teil. Danach ging alles so schnell. Man sagte uns, dass er sehr begabt sei und er speziellen Unterricht benötige. Für das Wohl der Gemeinschaft. Das Geld im Hinterkopf, stimmten wir zu. So ist er dann in eine Elite-Schule nahe Chicago eingetreten. Dass das ein Fehler war, realisierten wir erst Jahre später. Als er dann seine Ausbildung beendete, war er ein anderer Mensch. Die Verfremdung begann zunächst mit Vorwürfen und Kritik. Wir würden unseren Beitrag zur Gemeinschaft nicht leisten, behauptete er. Rony zielte dabei besonders auf meinen Mann, der als gelernter Konditor noch einer traditionellen Arbeit nachging. Eines Tages war‘s besonders schlimm. Sein eigener Sohn beschimpfte ihn als Last für die Gemeinschaft, dem Fortschritt im Wege stehend. Nach diesem Abend hörten wir lange nichts mehr von ihm.“
Mit rauer aber dennoch fester Stimme beendet Frau Kommel den ersten Teil ihrer Erzählung. Sichtlich aufgewühlt greift sie nach dem kalten Tee und nippt kurz daran. Sie verzieht das Gesicht. Zu dem Zeitpunkt bin ich mir noch nicht sicher, was ich von Frau Kommels Geschichte halten soll. Eines steht fest. Um die Sache besser bewerten zu können, muss ich die gesamte Geschichte hören.
„Bitte, fahren Sie doch fort.“ „Ja, wo war ich denn? Ah, ja. Es gab also lange keinen Kontakt mehr zwischen uns. Hm. Alles was wir probierten, um die Kluft zu überbrücken, schlug fehl und wir mussten uns auf Nachrichten von Dritten verlassen. Diesen nach, gelang ihm der erfolgreiche Aufstieg ins KarriereLeben. Als Experte in Sachen Applied Virtual Systems wirkte er an verschiedenen Projekten mit und stieg die Karriere-Leiter hinauf, bis an die Spitze. Doch ein Wiedersehen mit uns schlug er immer noch aus. Auch als mein Mann mit Tuberkulose seinen letzten Atem tat, war er nicht da. Zu beschäftigt. Und dann schließlich, mit dem ganzen technischen Know-How, guten Verbindungen und staatlicher Hilfe, bekam er dann den Führungsposten bei KAPE. Das war der Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn.“
Als Frau Kommel den Satz beendet, schwingt ein bitterer Unterton mit.
„Nu‘ ja. Und dann musste ja komm‘n, was komm‘n musste, nich‘. Ein jüngerer, wilderer und ehrgeizigerer Kämpfer betrat den Ring. Letztendlich wurde er wegen Steuerhinterzugs gefeuert und aus der Firmengeschichte getilgt. Freunde und Frau ließen ihn einfach liegen, als gebrandmarkter hat er eh keine Chance mehr gehabt. Hm. Da kam er dann eines abends heim, natürlich stockbesoffen und flennend. Da hab‘ ich ja keine Wahl mehr gehabt und hab‘ ihn rein genommen. Ausgerechnet der gemeinschaftliche Sozialstaat hat uns über Wasser gehalten und wir sin‘ hierhergezogen.“
„Zumindest haben Sie ihren Sohn wieder“, argumentiere ich optimistisch, doch Frau Kommel blickt nur mit düsterer Mine auf einen Punkt links neben mir.
„Nee, das ist nur der Eindruck. Verschluckt vom Suff und Verzweiflung ist der. Irgendwie habe ich auch nicht das Durchsetzungsvermögen, ihn da wieder raus zu ziehen. Bin zu alt. Meinen richtigen Sohn habe ich mit 13 verloren. An die beschissene Gemeinschaft. Und, das kann ich Ihnen ja wohl sagen, der kommt nich‘ wieder. Hm?“
Gibt es wirklich einen Punkt, an dem Rückkehr nicht mehr möglich ist? Diese Frage stelle ich mir, als ich Frau Kommels Wohnung verlasse und den stickigen Gang entlang schlendere. Merkwürdig, schließlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass derartiges, wie Gefühle oder Emotionen, in meinem Speicher vorhanden sind. Als hochleistungsfähiger und verdeckter Androiden-Prototyp zur sozialen Verständigung sollte ich zwar Mitgefühl zeigen, aber nicht spüren können. Meines Fehlers bewusst, steige ich in den Aufzug und fahre nach unten.

„Wir schalten nun live zu unserem Mann im Einsatz, Tedd Howard. Er berichtet in Echtzeit aus dem KAPE-Tower, in dem sich vor wenigen Stunden eine Tragödie ereignet hat. Hallo Tedd, wie sieht die Lage aus? “
„Danke Tom. Eine Tragödie, wohl war. Ich stehe hier in der Lobby des Multi-MillionenKonzerns, wo sich Polizei und Presse bereits tummeln. Leider ist der Zugang zu höheren Etagen abgeriegelt.“
„Könnten Sie uns über den Tathergang aufklären?“
„Der Polizei nach verschaffte sich ein noch unbekannter Täter Zugang zum KAPE-Gebäude und drang bis in die obersten Etagen ein. Dort soll der mutmaßliche Täter dann ein Attentat auf mehrere Geschäftsführer verübt haben. Der Täter selbst erhängte sich daraufhin unweit des Tatorts mithilfe eines Sicherheitsbügels.“
„Was für ein grausames Verbrechen. Sind denn die Tatmotive bereits bekannt?“
„Nein. Nach offiziellen Angaben scheint es so, als ob es sich um einen willkürlichen Mord handelt, begangen von einem Verzweifelten mit psychischer Vorerkrankung. In solchen Zeiten ist es umso wichtiger, dass die Gemeinschaft zusammenhält.“
Als Frau Kommel den Satz beendet, schwingt ein bitterer Unterton mit.
„Nu‘ ja. Und dann musste ja komm‘n, was komm‘n musste, nich‘. Ein jüngerer, wilderer und ehrgeizigerer Kämpfer betrat den Ring. Letztendlich wurde er wegen Steuerhinterzugs gefeuert und aus der Firmengeschichte getilgt. Freunde und Frau ließen ihn einfach liegen, als gebrandmarkter hat er eh keine Chance mehr gehabt. Hm. Da kam er dann eines abends heim, natürlich stockbesoffen und flennend. Da hab‘ ich ja keine Wahl mehr gehabt und hab‘ ihn rein genommen. Ausgerechnet der gemeinschaftliche Sozialstaat hat uns über Wasser gehalten und wir sin‘ hierhergezogen.“
„Zumindest haben Sie ihren Sohn wieder“, argumentiere ich optimistisch, doch Frau Kommel blickt nur mit düsterer Mine auf einen Punkt links neben mir.
„Nee, das ist nur der Eindruck. Verschluckt vom Suff und Verzweiflung ist der. Irgendwie habe ich auch nicht das Durchsetzungsvermögen, ihn da wieder raus zu ziehen. Bin zu alt. Meinen richtigen Sohn habe ich mit 13 verloren. An die beschissene Gemeinschaft. Und, das kann ich Ihnen ja wohl sagen, der kommt nich‘ wieder. Hm?“
Gibt es wirklich einen Punkt, an dem Rückkehr nicht mehr möglich ist? Diese Frage stelle ich mir, als ich Frau Kommels Wohnung verlasse und den stickigen Gang entlang schlendere. Merkwürdig, schließlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass derartiges, wie Gefühle oder Emotionen, in meinem Speicher vorhanden sind. Als hochleistungsfähiger und verdeckter Androiden-Prototyp zur sozialen Verständigung sollte ich zwar Mitgefühl zeigen, aber nicht spüren können. Meines Fehlers bewusst, steige ich in den Aufzug und fahre nach unten.

„Wir schalten nun live zu unserem Mann im Einsatz, Tedd Howard. Er berichtet in Echtzeit aus dem KAPE-Tower, in dem sich vor wenigen Stunden eine Tragödie ereignet hat. Hallo Tedd, wie sieht die Lage aus? “
„Danke Tom. Eine Tragödie, wohl war. Ich stehe hier in der Lobby des Multi-MillionenKonzerns, wo sich Polizei und Presse bereits tummeln. Leider ist der Zugang zu höheren Etagen abgeriegelt.“
„Könnten Sie uns über den Tathergang aufklären?“
„Der Polizei nach verschaffte sich ein noch unbekannter Täter Zugang zum KAPE-Gebäude und drang bis in die obersten Etagen ein. Dort soll der mutmaßliche Täter dann ein Attentat auf mehrere Geschäftsführer verübt haben. Der Täter selbst erhängte sich daraufhin unweit des Tatorts mithilfe eines Sicherheitsbügels.“
„Was für ein grausames Verbrechen. Sind denn die Tatmotive bereits bekannt?“
„Nein. Nach offiziellen Angaben scheint es so, als ob es sich um einen willkürlichen Mord handelt, begangen von einem Verzweifelten mit psychischer Vorerkrankung. In solchen Zeiten ist es umso wichtiger, dass die Gemeinschaft zusammenhält.“
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