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Lisa Krause und der Wald.

by Doris Sprengel

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Lisa Krause ist 95 und lebt in einem Seniorenheim in Caputh. Sie ist eine Zeitzeugin. In ihren Erinnerungen treten alte Geister zu Tage, Gespenster haben einen Auftritt. Der nahe Wald ist kulturhistorische Bühne für ihr Erlebtes.
* Lisa Krause
(1929)
ca. (1933)
"Als junge Leute sind wir im Wald herumgegangen".
"Da hat das Sägewerk die ganzen Bäume zersägt. 33 im Winter."
Comic Panel 1
1912
Comic Panel 1
Waldnutzung
(1935)
"Alles war urbar gemacht worden weil sie wollten Obstpflanzen anbauen".
Comic Panel 1
Wald und Natur
(1937)
“Das war immer Wirtschaftswald. Man hatte keinen Sinn für Natur. Die Leute waren immer darauf bedacht, dass sie existieren konnten
Kriegsbeginn (1939)
Mahagoniholz
(1939)
"Der Mann auf dem Bild musste unser Haus verkaufen, weil er Jude war und für seine Emigration Geld brauchte. Da war das Walderlebnis abgeschlossen."
"Da kommt keine Wurm rein. Diesen Spiegel aus Mahagoniholz kaufte mein Vater von einer emigrierenden jüdischen Familie in Wilhelmshorst. Ich habe ihn bis heute."
1945
Waldbrand
(1940-45)
Lisa Krause heute
2022
"Im Wald versteckten sie die Munition.
Bei Beschuss stand der Wald ständig in Flammen."
Kennengelernt habe ich Lisa Krause bei einer Suche nach Geistern in Caputh.
Gespenster spielten eine große Rolle in diesem Dorf. Als ich aus Berlin hierher zog, war ich nicht in der Lage, Caputh richtig auszusprechen. Mir wurde gesagt, dass ich, wenn ich den Namen nicht richtig ausspreche, auch kein Teil von Caputh werden könnte. Ich fühlte mich fremd. Ich bin in Bayern geboren und habe oft den Wohnort gewechselt. Wenn ich hier ein Gespräch begann, kamen wir oft auf den gescheiterten Sozialismus zu sprechen. Gespräche entwickelten sich am Gartenzaun.
Einem Nachbarn fiel auf, dass ich oft zuhause was. Er sprach mich an und fragte mich, ob ich aus dem Westen käme. Ich fühlte mich ertappt und bejahte. Er meinte, wir Frauen aus dem Westen wären alle Hausfrauen. Ich war wütend, total aufgebracht. Schließlich arbeitete ich ja, nur nicht richtig sichtbar. Andere beschwerten sich über die „Muttis“, die nur zuhause blieben. Ich verfiel in eine nostalgische Sehnsucht. Ich erinnerte mich an meinen Heimatort in der Oberpfalz. Das Dorf war von dunklen Wäldern umgeben. Ich ging als Kind immer dorthin, an den Waldrand. Weiter war es mir nicht erlaubt. Durch die Baumstämme sah ich nur Wurzeln und Steine, nadeligen Boden. Die Dunkelheit war aufregend, undurchdringlich, fremdartig. Es herrschte eine ahnungsvolle menschenlose Stille. Meine Mutter starb und wir zogen davon. Kein Wald tauchte mehr in meinem rasanten, flüchtigen Leben auf. Man zog von Stadt zu Stadt. Omas und Opas wurden begraben. Freundinnen gleichfalls.
So landete ich mit meiner neuen Familie in Caputh. Damals tauchten die ersten Gespenster auf. Was bedeutete dieser Ortsname? Ich befand mich auf der Bremsspur, jemand hatte eine Wand errichtet, hier war Ende, gleich da war der Wald. Es passte, dass in irgendeiner Urkunde von irgendeinem Markgrafen Waldemars 1317 das Dorf „Capputh“ zum ersten Mal eine Erwähnung fand. Wir lachten, wir fühlten uns selbst „capputh“ und übten gackernd die Aussprache. Das Wort stammte laut Wikipedia aus dem slawischen Wort „Kopyto“ und sollte „Huf“ bedeuten.
Rittergeschichten schwappten heraus, Don Quichotte und Sancho Pansa riefen nach Dulcinea. Da kam Lisa Krause ins Spiel.
Als ich wieder einmal mit ihr in ein Gespräch über damals verstrickt war, berichtete sie mir vom üblen Schloßherren aus Caputh. Er ritt in ihren Erinnerungen allzeit am Ufer des Caputher Sees entlang, bewaffnet mit einer Peitsche. Ich stellte ihn mir in Samtwams und hohen, blank polierten Reiterstiefeln vor, von Gestalt dem Schimmelreiter Fontanes ähnlich. Über dem See der Vollmond, unter der trüben Wasseroberfläche blubbernde Karpfen und er, namenlos, hoch zu Ross. Lisa wusste nicht mehr, wie er hieß aber ich dachte sofort an Waldemar. Die Zeit zog sich zusammen, verschränkte sich, so war es immer hier.
Der Schlossherr vertrieb jeden, der sich in der Nähe befand und bestrafte ihn mit der Peitsche. Das muss um 1910 gewesen sein, vielleicht früher. Die Geschichte riß mich mit, brachte mir das Schloss näher, dass ich bis dahin hübsch fand. Es brach etwas auf, eine Stelle im Boden, trocken und heiß wie der Asphalt einer Straße an einem gleißendem Sommertag.
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